Neuraltherapie ist die Behandlung von Beschwerden und Störungen mittels Injektion von örtlichen Betäubungsmittel (Lokalanästhetika). Diese Stoffe besitzen nicht nur eine betäubende Wirkung, wie man sie vom Zahnarzt kenne, sie üben auch eine heilende Wirkung auf das Gewebe aus. Diese entzündungshemmende und durchblutungssteigernde Wirkung nutzen wir bei der Behandlung von Erkrankungen.
Es war niemand geringerer als Sigmund Freud, der im Jahr 1883 als erster die Heilwirkung von Lokalanästhetika entdeckte – ohne diese Beobachtung jedoch weiter zu verfolgen. Die Lokalanästhetika traten ihren Siegszug in der Chirurgie und Zahnheilkunde rund um die Welt an: Endlich schmerzfreie Operationen!
Erst wieder einige Jahrzehnte später machten der Franzose Leriche und die Deutschen Spieß und Schleich ähnliche Beobachtungen der örtlichen Heilwirkung von Lokalanästhetika. Um 1940 beschrieben Ferdinand und Walter Huneke die Fernwirkungen von Lokalanästhetika.
Seit diesen Pionierleistungen können immer mehr Krankheiten erfolgreich damit behandelt werden – die Therapie mit Lokalanästhetika folgte der Anwendung bei Operationen rund um die Welt um einige Jahrzehnte verzögert. Sie wird inzwischen in mehr als 30 Ländern praktiziert. Alleine im deutschsprachigen Raum wenden über 30.000 Ärzte in Praxen und Schmerzambulanzen die Neuraltherapie an, ca. 1.200 von ihnen haben eine vollständige zweijährige Ausbildung mit Zertifikat absolviert.
Zahlreiche Studien untermauern die gute Wirkung der Neuraltherapie. Derzeit sind es vor allem Wissenschaftler an den Universitäten Bern, Heidelberg und Essen, die auf dem Gebiet der Neuraltherapie forschen. Die Wirkung der Neuraltherapie beruht nach den heutigen Erkenntnissen auf folgenden Effekten. Sie wirken:
Einige Forscher haben in der Neuraltherapie auch eine hemmende Wirkung auf Krebszellen nachgewiesen. Bekannt ist zudem, dass die Neuraltherapie über das vegetative Nervensystem (VNS) auch in entfernten Körperregionen wirksam sein kann. Das VNS verbindet den ganzen Körper wie ein Netz und spielt eine wichtige Rolle bei der Schmerzlinderung.
Die Neuraltherapie beeinflusst zudem die Funktion innerer Organe, des Immunsystems und psychische Prozesse. Auch funktionelle Störungen können mittels mit dieser Methode behandelt werden. Selbst bei zerstörten Strukturen entfaltet sie eine nachhaltige Wirkung: Sie verbessert die Durchblutung, lindert den Schmerz und stärkt die erhalten gebliebenen Funktionen.
Nach Erhebung der Krankengeschichte und einer gründlichen Untersuchung erstellt der Therapeut einen Therapieplan. Dort hält er insbesondere fest, welche Punkte und Regionen für die Behandlung in Frage kommen. Diese können sich im Bereich der erkrankten Körperregion oder auch weiter entfernt vom Krankheitsgeschehen befinden, zum Beispiel in der Zahn-Kiefer-Region, in der Wirbelsäule, in der Bauchregion oder an Armen und Beinen.
Während der Patient behandelt wird, liegt er entspannt auf einer Liege oder sitzt abgestützt auf einem geeigneten Untersuchungsstuhl. Die Injektion – sie verursacht bei fachkundiger Durchführung wenig Schmerzen – wird durchgeführt und eventuell durch weitere Injektionen ergänzt. Ist der richtige Punkt getroffen, spüren manche Patienten eine sofortige Besserung ihrer Beschwerden („Sekundenphänomen“).
Die Kunst der Neuraltherapie besteht in dem „Gewusst wo“ der Injektion und in der richtigen Interpretation der Reaktionen, die durch die Behandlung ausgelöst wurden. Sie verlangt vom Therapeuten große Erfahrung und eine gute Beherrschung der Untersuchungs- und Behandlungstechnik.
Bei akuten Erkrankungen werden Behandlungen alle 1–3 Tage durchgeführt, in der Regel sind 2–4 Sitzungen erforderlich. Bei chronischen Erkrankungen erfolgt die Behandlung meist alle ein bis zwei Wochen, insgesamt sind 5–15 Sitzungen notwendig. Eine Auffrischbehandlung nach Eintritt der Beschwerdefreiheit zur Erhaltung des Therapieerfolges kann ggf. nach einem halben bis einem Jahr notwendig sein.